KULTE IM ALTEN KRETA

 

Mesopotamische, ägyptische und minoische Fruchtbarkeitskulte wurzeln noch in der Zeit nach der neolithischen Revolution. Die ersten Menschen versuchten ihr Überleben durch die kultische Verehrung von Vegetations- und Fruchtbarkeitsgöttern zu sichern. Ein weiterer wichtiger Kult der Minoer war der Stierkult. Einen Stierkult hat es auch in Mesopotamien gegeben, wenn er auch nicht mit dem kretischen Stierkult verglichen werden kann. Der Zeusmythos wurde wohl erst von den Achäern vom Festland nach Kreta übertragen. Die Insel der Seligen war nicht nur die Insel der Götter. Sie war die Heimat aller Götter. Zeus, der oberste der olympischen Götter, wurde nicht nur auf Kreta geboren, er starb auch hier.

 

Eine starke Verehrung fanden auf Kreta zunächst die großen Mutter-, Erd- und Fruchtbarkeitsgöttinnen. Der Kult der Göttin Eileithyia bestand bis in die mykenische Zeit. Eileithyia wurde in der Höhle von Amnissos geboren. Ihre Kultgrotten waren die Höhlen bei Amnissos und Inatos. Sie wurde als Geburts-, Liebes- und Schutzgöttin der Seefahrer verehrt. Auch war sie Schutzgöttin der Stadt Lato und besaß außerhalb der Stadt ein Heiligtum. Sie wurde besonders in ländlichen Regionen Kretas verehrt.

Funde der Doppelaxt reichen bis in die Altsteinzeit und wurden in Asien, Europa, Amerika und Afrika gemacht. Pelekys ist der griechische Name der Doppelaxt oder des zweischneidigen Beils, das in prähistorischer und archaischer Zeit Waffe , Opfergerät und Tauschmittel war. In der minoischen Kultur hatte die Doppelaxt eine rein symbolische und kultische Bedeutung unter der Bezeichnung Labrys. Die minoischen Priesterinnen wurden auch Labryadai genannt, Axtträgerinnen. Die Labrys war vermutlich ein zeremonielles Zepter. Priesterinnen wurden häufig in der Kunst dargestellt. Oft mit entblößtem Oberkörper, Schlangen oder der Labrys. Neben den Kulten der großen Göttin entwickelten sich Schlangen- und Stierkulte. Es gab im minoischen Kreta einen Stierkult, wie Darstellungen von Opferszenen belegen, auf denen Priesterinnen ein Stieropfer darbringen. Auch in Gräbern und Gebäuden wurden Stieropfer gefunden. Aus allen minoischen Epochen kennt man Opfergefäße in Stierform oder in Form eines Stierkopfes. Manche Darstellungen lassen auch auf Stierspiele ohne tödlichen Ausgang schließen. Im Mythos wird Zeus mit dem minoischen Stier in Verbindung gebracht. Nur ein einziges Menschenopfer wurde um 1700, wohl in Anbetracht des gewaltigen Erdbebens, auf Kreta gefunden.

Archäologische Funde zeigen Frauen an den wichtigsten und bevorzugten Stellen. Es gibt jedoch keine Belege für ein Matriarchat im minoischen Kreta. Sicher ist nur, dass im Mittelpunkt der minoischen Religion die große Mutter-, Erd- und Fruchtbarkeitsgöttin stand und deren Kult von Priesterinnen ausgeübt wurde.

 

In der Folgezeit bezeugen Ausgrabungen und Darstellungen weibliche und männliche Gottheiten. Zeus, Apollon und Athena waren die Götter der kretischen Städte. Zeus nimmt eine Sonderstellung ein. Er wurde als Gott der Insel verehrt. Zeus verfügte über Stadtheiligtümer und Heiligtümer außerhalb der Städte und wurde in den Städten, auf dem Land und in den Bergen verehrt. Kultstätten des Zeus in den Bergen, die mit seiner Geburt in Zusammenhang gebracht wurden, trugen Beinamen der Orte, wie zum Beispiel Zeus Diktaios oder Zeus Idaios. Auch war Zeus Gott der Verträge und Schutzherr des häuslichen Lebens. Er wurde vermutlich auch als Beherrscher der Naturgewalten und Retter in der Not angebetet, worauf weitere Epiklesen verweisen. Apollon wurde in vielen kretischen Städten als Schutzgott verehrt. Oft war er als Ahnherr an der Städtegründung beteiligt. Es gab Tempel des Apollon im Zentrum, am Rande und außerhalb von Städten. Er war Schwurgott, Jagdgott und wird mit einem Baumkult in Verbindung gebracht.

Möglicherweise war auch der Kult des Poseidon, eines Bruders des Zeus, auf Kreta weit verbreitet. Häufig wurde er als Gott der Erdmächte verehrt. In seiner Kultstätte bei Tsiskiana wurden ihm unzählige Stierterrakotten geweiht. Auch war er Gott des Meeres und Schutzgott der Seefahrer.

Die Göttin Demeter, eine Schwester des Zeus, trug als Symbole den goldenen Ährenkranz und die Labrys. Rhea, die Mutter des Zeus, wurde möglicherweise gemeinsam mit ihrem Sohn in dessen Geburtsheiligtümern verehrt, was die Bezeichnung Rhea Idaia vermuten lässt.

Sehr weit verbreitet waren auf Kreta auch die Kulte der Koureten und Nymphen. Häufig finden sich Hinweise auf sie in den Gründungslegenden der Städte und sie erscheinen als Beschützer dieser und ihrer Bewohner. Auch waren sie Schutzherren von Viehzucht und Ackerbau. Die Koureten sind mit dem Mythos der Geburt des Zeus verbunden. Man vermutet, dass sie in der Nähe mancher Zeusheiligtümer verehrt wurden. Nymphen wurden mit Koureten und mit anderen Göttern zusammen verehrt.  

 

Lange Zeit wurden die Mythen der Griechen als fiktive Geschichten angesehen. Nach der Lehre kretischer Forscher jedoch hatten die kretischen Gottheiten als Menschen gelebt. Als H. Schliemann Troja, Mykene und Tiryns ausgrub, musste die Fachwelt erkennen, dass Homer tatsächlich historische Ereignisse beschrieben hatte. Doch es ist zu berücksichtigen, dass die minoischen Mythen erst ab dem 8. Jahrhundert v. Chr. aufgeschrieben wurden. Auch wurden Mythen zu politischen Zwecken eingesetzt. Somit können sie nicht als historische Quellen gesehen werden, wenn sie auch Hinweise auf Gebräuche liefern. Die archäologische Quelle ist bis heute der wichtigste Wegweiser zur Erschließung der minoischen Kultur.  

                                                                                                                              

Quellenangabe:

Sporn, Katja: Heiligtümer und Kulte Kretas in klassischer und hellenistischer Zeit. Verlag Geschichte und Archäologie, Heidelberg 2002.